OLG Karlsruhe: Auslegung des Patentanspruchs
In einem Verfahren um eine Patentverletzung ist die Auslegung des Patentanspruchs in den meisten Fällen erforderlich und relevant.
In einer aktuellen Leitsatzentscheidung des OLG Karlsruhe ging es dabei um eine Schneidemaschine mit Nahrungsmittelzufuhrvorrichtung. Erstinstanzlich wurde in Bezug auf diese Schneidemaschine eine Patentverletzung festgestellt.
Hatte das erstinstanzliche Gericht Fehler gemacht in der Auslegung des Patentanspruchs? Das wurde in diesem Berufungsverfahren vor dem OLG Karlsruhe geltend gemacht.
Der Sachverhalt
Die Beklagte stellt Schneidmaschinen her und vermarktet diese in Deutschland oder lässt diese durch weitere Unternehmen innerhalb der Unternehmensgruppe der Beklagten vermarkten. Unter Geltendmachung des deutschen Teils einen Europäischen Patents ohne einheitliche Wirkung - also kein Einheitspatent - erwirkte die Klägerin vor dem erstinstanzlichen Landgericht Mannheim die Feststellung, die Handlungen der Beklagten seien eine Patentverletzung gegen das Patent der Klägerin und ihr stehe daher ein Anspruch auf Schadensersatz sowie auf Auskunfts- und Rechnungslegung zu. Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte Berufung ein vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe.
Die Beklagte argumentierte, der Patentanspruch sei in einer anderen Weise auszulegen, als dies das vorinstanzliche Landgericht tat. Im Wesentlichen ging es dabei um die Frage, ob der Patentanspruch des angefochtenen Streitpatents und insbesondere das Merkmal, das eine Nahrungsmittelzufuhrvorrichtung zum Transportieren von Nahrungsmitteln in einer Schneidmaschine angibt, eine Zwangsführung erfordert oder nicht.
In einem parallelen Verfahren legte die Beklagte Einspruch gegen das Klagepatent ein vor dem Europäischen Patentamt, eine durchaus übliche Vorgehensweise in einem solchen Fall. Auf diesen Einspruch hin wurde das Klagepatent mit Entscheidung des Europäischen Patentamts vom 18. Juli 2022 in der eingeschränkten Fassung des dortigen Hilfsantrags 0 aufrechterhalten. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Einsprechenden blieb in der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 30. November 2023 ohne Erfolg.
Für die Berufung vor dem OLG Karlsruhe ist dies insoweit von Interesse, als die Frage aufkam, ob die Gründe der Einspruchsentscheidung, warum das Klagepatent Bestand und der Einspruch keinen Erfolg hat, der Beschreibung des Patents gleichstehen.
Das OLG Karlsruhe machte dies zum zweiten Leitsatz in seiner Entscheidung 6 U 232/22 (der erste Leitzsatz der Entscheidung nimmt Bezug zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ)). Das OLG differenzierte in seinem zweiten Leitsatz, dass nur bestimmte Erwägungen der Einspruchsabteilung der Beschreibung des Patents gleichstehen – nämlich nur diejenigen Erwägungen, die den Teilwiderruf des Patents im vorrangig verteidigten Patentanspruch begründen, „mögen hinsichtlich der Abweichungen, welche die unter Widerruf im Übrigen aufrechterhaltene Anspruchsfassung von der erteilten Fassung aufweist, an die Stelle der Patentbeschreibung oder neben sie treten.“
Nicht aber Gründe der Einspruchsentscheidung, die nur erläutern, warum das Patent Bestand und der Einspruch keinen Erfolg hat, sind in diesem Sinn zu berücksichtigen. Sie sind lediglich als gewichtige sachverständige Stellungnahmen bei der Auslegung des Patentanspruchs im Blick zu behalten.
Auslegung des Patentanspruchs – allgemeine Rechtsprechung
Zur Auslegung des Patentanspruchs gibt es eine Reihe von relevanten Urteilen, von denen einige in diesem Berufungsverfahren vom Gericht angeführt wurden.
Sinngehalt und Gesamtheit
Für die Beurteilung einer Patentverletzung ist die Auslegung des Patentanspruchs in den meisten Fällen erforderlich. Dabei sind der Sinngehalt des Anspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag jedes einzelnen Merkmals zu dem gesamten Leistungsergebnis der Erfindung zu ermitteln (vgl. BGH, GRUR 2020, 159 Rn. 18 - Lenkergetriebe; GRUR 2021, 1167 Rn. 21 - Ultraschallwandler). Entscheidend ist zumindest im Zweifel die Funktion, die das einzelne technische Merkmal für sich und im Zusammenwirken mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat (vgl. BGHZ 194, 107 Rn. 27 - Polymerschaum).
Ausdruck und Sprache
Ein buchstäbliches Verständnis der Patentansprüche reicht in der Regel nicht aus, um den geschützten Gegenstand vollständig zu erfassen (vgl. BGHZ 189, 330 Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung). Übrigens ist immer vom Wortlaut in der Verfahrenssprache auszugehen für die Bestimmung des Schutzbereichs.
Soweit derselbe Ausdruck („extend to“) in der Patentschrift räumliche Beziehungen zwischen (anderen) Gegenständen beschreibt, die den jeweils anderen Gegenstand unmittelbar erreichen, liegt darin keine gleichsam lexikalische Beschränkung auf solche Fälle. Daraus kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, für abweichende Gestaltungen würde die Klagepatentschrift es ausschließen, denselben Ausdruck zu verwenden.
Übrigens darf weder der Patentanspruch nach Maßgabe des ursprünglich Offenbarten enger ausgelegt werden (BGHZ 194, 107 Rn. 28 - Polymerschaum I; BGH, GRUR 2023, 1184 Rn. 49 - Faserstoffbahn), noch darf umgekehrt sein Sinngehalt dadurch ermittelt werden, dass dem Wortlaut des Patentanspruchs abweichende Formulierungen der Anmeldung gegenübergestellt werden (BGH, GRUR 2015, 875 Rn. 17 - Rotorelemente).
Auslegung des Patentanspruchs – mit oder ohne Zwangsführung?
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat nach Ansicht des OLG Karlsruhe das Landgericht Mannheim mit Recht erkannt, dass der Patentanspruch und insbesondere das Merkmal 1 keine Zwangsführung mit zusammen auf das Transportgut wirkenden oberen und unteren Förderern oder Greifern erfordert.
Merkmale, die zu erwarten wären, wie Greifer, obere Förderer oder eine Zwangsführung nennt der Patentanspruch nicht. Überhaupt sah das Gericht den Patentanspruch als sehr weitgefasst an. So liegt z. B. der im Merkmal 1 definierte technische Zweck der geschützten Vorrichtung darin, Nahrungsmittel in einer Schneidmaschine zu transportieren („for conveying“) – aber es ist keine Rede von besonderen Anforderungen an die Fixierung des Nahrungsmittels während des Transports.
Die Berufung führe im Ansatz zwar zutreffend an, die Erfindung diene einer genauen, unabhängigen Zuführung von Nahrungsmitteln. Und eine Fixierung des Nahrungsmittels gerade durch die beanspruchte Zufuhrvorrichtung mittels von gegenüberliegenden Seiten zusammenwirkender Förderer oder durch Greifer mag dafür besonders vorteilhaft sein.
Erforderlich ist eine solche Konfiguration aber nicht zu Erreichung der technischen Wirkung, stellte das OLG fest, und das sei auch nicht angelegt im Anspruchswortlaut.
Vergeblich argumentierte die Beklagte, durch das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 21 werde der Patentanspruch auf diese Zwangsführung beschränkt. Lediglich beispielhaft ist dort eine Nahrungsmittelzufuhrvorrichtung gezeigt, bei der die anspruchsgemäßen Antriebsmerkmale an vier oberen Förderern ausgebildet sind, fand das OLG. Eine Beschränkung sei das nicht, entschied das Gericht und verwies auf die allgemeine Rechtsprechung (siehe BGH, GRUR 2007, 309 Rn. 17 - Schussfädentransport).
Die Berufung wurde vollständig abgewiesen (Urteil des OLG Karlsruhe vom 14.02.2024, Az.: 6 U 232/22).
Lesen Sie in diesem Kontext auch gerne diesen Blogbeitrag: Auslegung des Patentanspruchs – eine Neu-Justierung des Europäischen Patentamts?
Fazit
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